Matera
- Gregor Hilbrand
- 15. Mai
- 1 Min. Lesezeit
Als hätte der Wahnsinn Schönheit gemeißelt
Es gibt Orte, die sind schön, weil sie so geplant wurden. Matera ist das Gegenteil. Es ist schön, weil es keine Wahl hatte.
Die Stadt klebt wie ein Fossil am Hang, eine Kruste aus Stein und Zeit. Häuser sitzen auf Dächern, Fenster schauen in fremde Wohnzimmer, Treppen führen nirgendwohin – oder überall hin. Nichts daran ergibt Sinn, und gerade deshalb ergibt es alles.
Die Schönheit von Matera ist keine glatte, polierte Postkartenschönheit. Sie ist wild, unlogisch und monumental. Man steht da, schaut in diese in sich verdrehte Stadt aus Licht und Stein und denkt: Das kann nicht echt sein. Und dann zwitschert ein Spatz in einem jahrtausendealten Fensterrahmen, und plötzlich ist alles so real, dass es fast weh tut.
Im Morgenlicht glüht der Tuffstein goldgelb. Im Abendlicht glimmt er wie Asche. Und nachts sieht Matera aus, als hätte ein Gott eine Sternenkarte auf einen Felsen gestürzt.
Diese Schönheit ist nichts zum Wohlfühlen. Sie kratzt, sie flüstert von Not und Ausdauer, von Mensch gegen Stein – und Mensch mit dem Stein. Und gerade weil nichts daran einfach ist, bleibt einem der Mund offen stehen.
Matera ist kein schöner Ort. Es ist der Beweis, dass Schönheit nicht bequem sein muss. Nur wahr.
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